Viele Rohre und Leitungen verlaufen in ein mit Wasser gefülltes und von unten angeleuchtetes Becken

Bernhard Ludewig

Links ein Bürogebäude, rechts daneben ein größeres Gebäude mit einem abgerundetem Dach, rechts daneben ein eiförmiges Gebäude

W. Schürmann/TUM

Mehrere Drahtspulen hintereinander, die eine Rohrleitung lose verkleiden

Bernhard Ludewig

Ein Wissenschaftler schaut durch ein Fenster in eine verschlossene Kammer, in der zwei Roboterarme von der Decke hängen

Bernhard Ludewig

FRM II – Mit Neutronen in den Mikrokosmos

Die Forschungsneutronenquelle FRM II sorgt für den wissenschaftlichen Durchblick. Mithilfe von Neutronen blicken Forschende durch Oberflächen hindurch, tief in den Aufbau, die Struktur, die inneren Bewegungen und magnetischen Eigenschaften von Materialien. Aus aller Welt reisen sie ans Heinz Maier-Leibnitz Zentrum nach Garching bei München, um beispielsweise die Brennstoffzellen der Zukunft zu erforschen.

  • Ort:
    Garching (bei München)

  • Baukosten:
    435 Millionen Euro

  • Anzahl Forschende:
    1000 pro Jahr

  • Beteiligte Länder:
    Deutschland

  • Ziel:
    Materie und Materialien erforschen

  • Anwendungsbeispiel:
    Erforschung besonders leitfähiger Halbleiterbauelemente

  • Gerätetyp:
    Neutronenquelle (Forschungsreaktor)

  • Messmethode:
    Neutronenstreuung und Forschung mit Positronen

  • Untersuchungsobjekt:
    Neutronen, kondensierte Materie

  • Bauphase:
    1996 bis 2004

  • Rechtsform & beteiligte Institutionen:
    Wissenschaftliches Zentralinstitut der TU München; wissenschaftliche Nutzung im Rahmen des Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ)

  • Größe:
    1764 Quadratmeter (Reaktorhalle)

  • Experimentdetails:
    Flussdichte: 8 ∙ 1014 Neutronen pro Sekunde und Quadratzentimeter
    Thermische Leistung: 20 Megawatt

Welche Erkenntnisse der FRM II liefert

Die Neutronen, die der Forschungsreaktor München FRM II liefert, sind wahre Multitalente. Denn er bietet eine ganze Bandbreite unterschiedlich schneller Neutronen. Mit sogenannten heißen, bis zu 50 000 Kilometer pro Stunde schnellen Neutronen messen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel die Abstände zwischen Atomen. Nanometergroße Unregelmäßigkeiten in Materialien spüren sie mit den langsameren „kalten“ Neutronen, die sich mit 500 bis 5000 Kilometern pro Stunde bewegen, auf. Damit ergibt sich eine breite Anwendungspalette für Nutzerinnen und Nutzer aus aller Welt.

Wissenschaftler beugt sich über ein Geländer und legt einen kleinen Kolben auf eine metallene Scheibe, die sich am oberen Ende eines Metallgestänges befindet, das in ein Wasserbecken reicht

Medizinische Innovationen

Sie analysieren Materialien bis ins Detail, ohne deren Eigenschaften zu verändern. Damit ist die Untersuchung mit Neutronen ein prominentes Beispiel für zerstörungsfreie Prüfung. Physikerinnen und Physiker aus Garching untersuchten beispielsweise mittels Neutronen eine bronzene Merkur-Statuette aus der Archäologischen Staatssammlung München. Sie wollten erfahren,woraus genau sie besteht und wie sie hergestellt wurde. Dabei machten sie erstaunliche Entdeckungen: Die Figur ist hohl und ihre Beine wurden getrennt gefertigt und erst im zweiten Guss mit dem Rumpf verbunden. Anscheinend gab es eine antike Serienproduktion, wie wir sie bislang nur aus der Moderne kannten.

Auch für die Automobilindustrie sind Neutronen äußerst nützlich, denn es ist gar nicht so einfach, in einen laufenden Motor hineinzuschauen. Bohrt man ein Loch, verändert sich damit das Betriebsverhalten des Motors. Mit Röntgenstrahlen braucht man sehr hohe Energie und sieht doch nicht die nötigen Details. Ein Neutronenstrahl hingegen ermöglicht einzigartige Bilder, da die Neutronen leicht mehrere Zentimeter Metall durchdringen und wasserstoffhaltige Materialien wie Öl und Treibstoff deutlich abbilden. So lässt sich das Schmier- und Leistungsverhalten des Motors untersuchen und optimieren.

Mit Neutronen können die Forschenden aber auch Materialien verändern und so neue Werkstoffe entwickeln. Sie dotieren etwa Silizium für die Halbleiterindustrie, das heißt, sie bestücken es mit Atomen anderer Materialien, sogenannten Fremdatomen.

Wie der FRM II funktioniert

Die Forschungs-Neutronenquelle FRM II ist eine der leistungsfähigsten und modernsten Neutronenquellen weltweit. Der Reaktor stellt einen hohen Neutronenfluss bereit. Er dient nicht der Erzeugung von Strom. Mit 20 Megawatt thermischer Leistung erzeugt der FRM II nur etwa 0,6 % der thermischen Leistung, die ein herkömmliches Kernkraftwerk zur Stromerzeugung produziert. Er hat das weltweit beste Verhältnis von thermischer Leistung zu Neutronenfluss und gehört damit zu den effektivsten und modernsten Neutronenquellen der Welt: Jede Sekunde erzeugt er mithilfe der Kernspaltung aus Uran mehr als hundert Billionen sich frei im Raum bewegende Neutronen pro Quadratzentimeter.

Röntgenaufnahmen eines Motorblocks und einer Rattenlunge

Detaillierte Aufnahmen

Bei diesem Kernzerfall entstehen aus jedem Uranatom zwei kleinere Atomkerne und drei Neutronen. Neutronen besitzen keine elektrische Ladung – daher der Name „Neutron“. Und anders als Lichtteilchen (Photonen) reagieren sie nicht mit den Elektronen in der Atomhülle, sondern nur mit dem relativ kleinen, aber umso schwereren, Atomkern. Deshalb durchdringen sie feste Stoffe mühelos und zerstörungsfrei und liefern Informationen aus ihrem Inneren.

Neutronen weisen aber noch weitere besondere Eigenschaften auf: Als winzige Magnete erlauben sie, auch die magnetischen Eigenschaften von Substanzen zu untersuchen. Dies macht sie zu idealen Helfern für die Spurensuche in der Tiefe der Materie. Sie lassen sich besonders stark von leichten Elementen, vor allem von Wasserstoff, beeinflussen. Und sie erkennen selbst kleine aber feine Unterschiede in sonst fast identischen Atomkernen: Mit Neutronen messen Physikerinnen und Physiker an dem Forschungsreaktor beispielsweise, welches Isotop eines Elements vorliegt. Isotope sind fast baugleiche Atome, die sich lediglich in der Anzahl der Neutronen im Atomkern unterscheiden, sich sonst aber gleich verhalten. Das nutzen die Forscherinnen und Forscher. In Proteinen oder Kunststoffen markieren sie interessante Stellen mit Deuterium. Das Deuterium-Atom ist ein Verwandter des gewöhnlichen Wasserstoffatoms – es hat im Vergleich nur ein Neutron mehr im Kern. In anschließenden Messungen erkennen die Forschenden das Verhalten des Untersuchungsobjekts an genau dieser markierten Stelle.

Wer am FRM II beteiligt ist

Die Neutronenstrahlen von FRM II sind für zahlreiche Forschungsgruppen aus Universitäten, Industrie und Medizin von hohem Interesse. Die TU München betreibt den Reaktor als wissenschaftliches Zentralinstitut. Die wissenschaftliche Nutzung des FRM II erfolgt im Rahmen einer Kooperation zwischen der TU München, dem Forschungszentrum Jülich sowie dem Helmholtz-Zentrum Hereon unter Mitwirkung der Max-Planck Gesellschaft und weiteren Universitätsgruppen. Sie fungiert unter dem Namen Heinz Maier-Leibnitz Zentrum (MLZ). Das MLZ wird gemeinsam finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bayerische Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst sowie Partner der Kooperation.

Ein Wissenschaftler richtet einen metallenen Gegenstand auf einer durchlöcherten Basis an.

Vorbereitung eines Experiments

Als Serviceeinrichtung für Nutzerinnen und Nutzer im Bereich der Spitzenforschung mit Neutronen und Positronen verfügt das MLZ über eine einzigartige, leistungsfähige Ausstattung. An etwa 30 verschiedenen wissenschaftlichen Instrumenten können sich Forschende aus der ganzen Welt um Messzeit bewerben. Jährlich nutzen etwa 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Neutronen für ihre Experimente und Untersuchungen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert über die Projektförderung ErUM-Pro Verbünde, in denen universitäre Arbeitsgruppen die Messmöglichkeiten weiterentwickeln. Die geförderten Projekte reichen von methodischen Entwicklungen über Instrumentierung bis hin zur Datenanalyse.

Was gerade am FRM II passiert

Außenansicht eines großen, weißen Gebäudes, davor wehende Fahnen

FRM II

Der Forschungsreaktor München hat eine lange Geschichte und ist durch stetige Weiterentwicklung auch heute am Puls der Zeit moderner Neutronenforschung. Mit der Inbetriebnahme 1957 war der FRM, das sogenannte Atom-Ei, der TU München die erste nukleare Anlage der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahr 2000 endete dann ihr Betrieb. Heute steht die Hülle des Atom-Eis unter Denkmalschutz. Stattdessen wird nun an seinem Nachfolger, der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II), geforscht. Diese Anlage liefert wesentlich mehr Neutronen als das Ei, die Strahlqualität ist besser und es gibt zahlreiche neue Messmöglichkeiten, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Seit 2020 ist der Forschungsreaktor in Garching Deutschlands einzige nationale Neutronenquelle. Eine Umrüstung auf einen Brennstoff mit höchstens 50 % Uran-235 Anreicherung ist vorgesehen, sobald der neue Brennstoff entwickelt, qualifiziert und industriell verfügbar ist. Bis 2025 soll durch die TU München das Genehmigungsverfahren für den neuen Brennstoff eingeleitet werden.


zuletzt aktualisiert: Juni 2023

Quelle: https://fis-landschaft.de/materie/frm-ii/