Ein Gebäude auf Stelzen, links und rechts mit jeweils einer weißen Säule verbunden, steht in einer nächtlichen Polarlandschaft

Felipe Pedreros, IceCube/NSF

Technisches Gerät bohrt sich in eine Eisschicht

Mark Krasberg, IceCube/NSF

Forschungsstation, von der rotes Licht ausgeht, steht in einer nächtlichen Polarlandschaft; am Himmel Nordlicht

Martin Wolf, IceCube/NSF

Wissenschaftler in rotem Anorak kniet im Schnee und hält eine antennenähnliche Konstruktion fest

Martin Wolf, IceCube/NSF

IceCube – Neutrinosuche im ewigen Eis

Neutrinos sind die zweithäufigsten Elementarteilchen im Universum – und zugleich die rätselhaftesten. Obwohl jede Sekunde Milliarden von ihnen auf jeden Quadratzentimeter der Erde gelangen, fliegen sie nahezu ungehindert durch unseren Planeten hindurch. Um sie zu messen, wurde der größte Neutrino-Detektor der Welt gebaut. Er befindet sich an einem der kältesten Orte der Erde: in der Antarktis.

  • Ort:
    Geografischer Südpol (Antarktis)

  • Baukosten:
    250 Millionen Euro

  • Anzahl Forschende:
    350, davon 90 aus Deutschland

  • Beteiligte Länder:
    Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Japan, Kanada, Neuseeland, Republik Korea, Schweden, Schweiz, USA, Vereinigtes Königreich

  • Ziel:
    Neutrinos mit hoher Energie aus dem Weltall aufspüren

  • Anwendungsbeispiel:
    Hochempfindliche und zugleich robuste Lichtsensoren

  • Gerätetyp:
    Neutrinoteleskop

  • Messmethode:
    Detektion von Tscherenkow-Strahlung

  • Untersuchungsobjekt:
    Neutrinos

  • Bauphase:
    2004 bis 2010

  • Rechtsform & beteiligte Institutionen:
    IceCube Collaboration; In Deutschland: RWTH Aachen, Humboldt-Universität Berlin, Universität Bochum, TU Dortmund, Universität Erlangen-Nürnberg, Universität Mainz, TU München, Universität Münster, Universität Wuppertal, DESY-Zeuthen, KIT, Max-Planck-Institut für Physik (München)

  • Größe:
    5160 Detektoren verteilt in einem 1 km³ großen Gebiet am Südpol

  • Experimentdetails:
    Winkelauflösung von 0,5 Grad für Myon-Neutrinos,
    10 – 20 Grad bei Elektron-/Tau-Neutrinos
    Energieschwelle für hochenergetische Neutrinos: 10 GeV

Welche Erkenntnisse IceCube liefert

Vier Bilder, jeweils in Paaren untereinander angeordnet, zeigen die verschiedenen Spuren, die die vier Neutrinos mit den höchsten Energien im IceCube-Detektor hinterlassen haben. Die Spuren sind durch senkrechte, parallele Reihen von Kugeln dargestellt, die an Perlenschnüre erinnern. Die Kugeln sind dabei unterschiedlich groß und verschieden eingefärbt, so, als hätte man die Perlenschnüre an einigen Stellen aufgeblasen.

Detektorspuren der Rekordereignisse

IceCube spürt Neutrinos aus dem fernen Weltall auf. Diese Neutrinos entstehen an vielen verschiedenen Orten im Universum. Zum Beispiel bei Kernreaktionen in der Sonne oder wenn kosmische Strahlung auf die Erdatmosphäre trifft. Doch IceCube blickt deutlich weiter in die Tiefen des Weltalls. Denn die Spezialität und die Einzigartigkeit dieses Experiments liegen in der Detektion sogenannter astrophysikalischer Neutrinos: Das sind Neutrinos, die von Orten weit jenseits unseres Sonnensystems stammen. Sie sind besonders selten, haben extrem hohe Energien und sind oft Milliarden Jahre unterwegs, bevor sie die Erde erreichen und auf den Detektor eintreffen.

Anhand der Ankunftszeiten der Lichtblitze an den Sensoren berechnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aus welcher Richtung die Neutrinos kommen und wie viel Energie sie besitzen. Das gibt Aufschluss darüber, aus welcher Region des Weltalls sie stammen und wie sie entstanden sind. Da hochenergetische Neutrinos aus extrem großen Entfernungen stammen und das Weltall ungestört durchqueren, bringen sie auf direktem Wege Informationen über ihre Entstehungsorte mit. So gewinnen die Forschenden Erkenntnisse über die Anfänge des Universums, die Entstehung von Galaxien und Sternen sowie die Geheimnisse schwarzer Löcher und dunkler Materie.

Wie IceCube funktioniert

Am geografischen Südpol – tief im Eis eingelassen – befindet sich das IceCube-Experiment, direkt unter der Amundsen-Scott-Südpolstation. Das Herzstück der Anlage sind die 5160 hochempfindlichen Lichtsensoren, die 1450 bis 2450 Meter tief unter der Oberfläche ins antarktische Eis eingeschmolzen sind. Zusammen mit ausgetüftelter Elektronik stecken sie in druckfesten, basketballgroßen Glaskugeln und sind jeweils im Abstand von 17 Metern an 86 Stahltrossen befestigt. Insgesamt umschließt der IceCube-Detektor einen Kubikkilometer Eis – und ist damit der größte Teilchendetektor der Welt.

Die Symbole für sechs Leptonen sind in zwei Dreierreihen zusammen mit ihren Massenwerten angeordnet. Die obere Reihe zeigt von links nach rechts das Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino. Direkt unter den Neutrinos sind die zugehörigen geladenen Teilchen dargestellt: Elektron, Myon und Tauon. Jede Spalte bildet eine Familie von Leptonen. Die Massen der Teilchen nehmen von der ersten zur dritten Familie, also vom Elektron zum Tauon hin zu.

Die drei Leptonen-Familien

Seine Sensoren „sehen“ Neutrinos allerdings nicht direkt. Sie fangen vielmehr die schwachen Lichtsignale auf, die aufblitzen, wenn Neutrinos mit den Atomkernen im antarktischen Eis zusammenstoßen. Bei den Kollisionen entstehen nämlich geladene Teilchen, die sich schneller als ein Lichtstrahl im Eis fortbewegen. Meist sind das Myonen oder Tauonen, die schwereren Verwandten der Elektronen. Entlang ihrer Flugbahn bringen sie die Eismoleküle zum Leuchten: Bläuliches sogenanntes Tscherenkow-Licht entsteht.

Warum aber wurde dieser Detektor am Südpol gebaut? Am Südpol liegt eine fast drei Kilometer dicke und kristallklare Eisschicht vor. Diese brauchen die Forschenden als Detektor, denn nur bei genügender Masse eines optisch durchsichtigen Mediums wechselwirken die Neutrinos überhaupt mit der uns bekannten Materie. Doch auch dort detektiert IceCube jede Menge Ereignisse, die zum Beispiel von Myonen aus Teilchenschauern herrühren. Ein Neutrino erkennen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem daran, dass das Signal zunächst im unteren Teil des Detektors ankommt. Andere Teilchen werden zuerst oben detektiert oder gelangen gar nicht erst so weit ins Erdinnere.

Wer an IceCube beteiligt ist

Ein internationales Konsortium betreibt das IceCube-Observatorium. Insgesamt arbeiten über dreihundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zwölf Ländern mit, davon rund neunzig aus Deutschland. Federführend sind die USA: Die University of Wisconsin in Madison koordiniert die Zusammenarbeit und die National Science Foundation hat über achtzig Prozent der Baukosten übernommen.

Die Grafik zeigt den Aufbau des IceCube-Observatoriums in der Antarktis, von der Eisoberfläche bis hinunter zum Felsuntergrund. Der Neutrino-Detektor schließt das Volumen eines sechseckigen Prismas ein. Seine 5160 Lichtsensoren sind an 86 Stahltrossen in einer Tiefe zwischen 1450 und 2450 Metern ins Eis eingeschmolzen. Sie ähneln kleinen Perlen, die an vielen parallelen Schnüren hängen. Im zentralen Bereich von IceCube sind der Subdetektor DeepCore und der Vorgänger AMANDA als kleine Zylinder dargestellt. In der Mitte der sechseckigen Eisoberfläche steht das zentrale IceCube-Labor, drumherum sind die kreisförmigen IceTop-Tanks regelmäßig verteilt.

3D-Ansicht des Observatoriums

Deutschland beteiligt sich mit einem Anteil von rund zwanzig Millionen Euro als zweitstärkste Partnernation an dem Projekt. So haben die deutschen Forschungsgruppen etwa ein Viertel der Detektoren im Eis und einen wesentlichen Teil der Empfangselektronik an der Oberfläche beigesteuert. Eine führende Rolle spielen dabei die Forscherinnen und Forscher des Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung institutionell gefördert wird. Sie haben beispielsweise die Lichtsensoren am DESY-Standort Zeuthen zusammengesetzt und getestet.

Darüber hinaus fördert das Bundesforschungsministerium Arbeiten an IceCube im Rahmen der Projektförderung ErUM-Pro. In den Projekten entwickeln und verbessern deutsche Forschungsgruppen neue Mess- und Auswertemethoden sowie die Kalibrierung. Dadurch sorgen sie dafür, dass das Neutrinoteleskop empfindlichere Messungen vornehmen und Neutrinos häufiger detektieren kann. Schätzungsweise ein Drittel der wissenschaftlichen Veröffentlichungen rund um IceCube kommt aus Deutschland – auch dank der zahlreichen involvierten Universitätsgruppen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten außerdem eng mit den Forschenden anderer astronomischer Großgeräte zusammen, um die Quellen astrophysikalischer Teilchen zu studieren. Im sogenannten Multi-Messenger-Ansatz beobachten sie die gleiche Region des Universums mit unterschiedlichen Geräten. Dadurch verstehen sie Zusammenhänge bei der Entstehung elektromagnetischer Strahlung und hochenergetischer Teilchen.

Was gerade an IceCube passiert

Bereits wenige Jahre nach der Fertigstellung 2010 gelangen den Forschenden die ersten Durchbrüche. Mit der Detektion von Ereignissen mit Energien von jeweils 1,1 und 1,0 Petaelektronenvolt haben sie die höchsten jemals gemessenen Energien verzeichnet. Gleichzeitig war dies der erste Beweis für astrophysikalische Neutrinos, die aus den Tiefen des Weltalls zu uns gelangen. Diese bahnbrechende Entdeckung wurde vom Magazin „Physics World“ zum „Durchbruch des Jahres 2013“ gekürt.

Das Neutrino-Ereignis mit der bisher höchsten Energie wurde in Deutschland von der RWTH Aachen entdeckt: Es wurde am 11. Juni 2014 aufgezeichnet. Dabei ist ein Myon regelrecht durch den Detektor „durchgerauscht“. Da es nicht seine komplette Energie im Detektor verloren hat, kann seine Gesamtenergie nur geschätzt werden. Sie liegt bei etwa acht Petaelektronenvolt – das entspricht ungefähr dem Milliardenfachen eines Neutrinos, das aus der Sonne kommt.

Illustration eines dunklen Wolkenwirbels, aus dem ein Lichtstrahl leuchtet

Illustration eines Blazars

Mit DeepCore, dem dicht bestückten Kernbereich des Detektors, lieferte IceCube außerdem Resultate für das Phänomen sogenannter Neutrinooszillationen. Damit meinen Physikerinnen und Physiker den Effekt, dass sich Neutrinos, während sie unterwegs sind, von einer in eine andere Neutrinosorte umwandeln können. Dieser Effekt wurde mit IceCube auch für astrophysikalische Neutrinos nachgewiesen.

Zuletzt sorgte die Ortung des Blazars TXS 0506+056 für Furore. Erstmals gelang es den Forschenden, der Herkunft eines Neutrinos auf die Spur zu kommen: Es stammte aus der Umgebung eines supermassereichen schwarzen Lochs inmitten einer aktiven Galaxie in mehreren Milliarden Lichtjahren Entfernung. Dieser sogenannte Blazar strahlt mit einem Teilchenstrahl direkt auf die Erde zu und löste so die Messung des Neutrinos am Südpol aus. Um noch weitere astrophysikalische, besonders energiereiche Neutrinos aufzuspüren, wird derzeit ein Ausbau des Detektors im antarktischen Eis diskutiert. In Kooperation mit den Astrophysikerinnen und Astrophysikern anderer Großforschungsanlagen verspricht dies neue Entdeckungen und Erkenntnisse über die Vergangenheit des Universums, weit entfernte Galaxien und die Entstehung kosmischer Strahlung.


zuletzt aktualisiert: Mai 2023

Quelle: https://fis-landschaft.de/universum/icecube/

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