BESSY II – Universelle Photonenquelle
Die Energiewende bewältigen und neue Materialien entwickeln – den Grundstein hierfür legen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Berliner Synchrotron BESSY II. Sie untersuchen chemische Prozesse und innovative Materialien mit kurzen und brillanten Lichtblitzen. Das Spektrum der Strahlung reicht von infrarotem über sichtbares bis hin zu UV- und Röntgenlicht. Mit dieser Vielfalt gewinnen die Forschenden tiefe Einblicke.
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Ort:
Berlin -
Baukosten:
102 Millionen Euro -
Anzahl Forschende:
3000 Besuche von Messgästen pro Jahr -
Beteiligte Länder:
Deutschland (Bund/Land Berlin) -
Ziel:
Zusammensetzung und Eigenschaften von Materialien erforschen -
Anwendungsbeispiel:
Entwicklung neuartiger Solarzellen und energieeffizienter Datenspeicher -
Gerätetyp:
Synchrotron -
Messmethode:
Verschiedene Spektroskopie-, Mikroskopie- und Diffraktometrietechniken mit weicher Röntgenstrahlung -
Untersuchungsobjekt:
Solarzellen, Katalysatoren, Quantenmaterialien, biologische Zellen und Moleküle -
Bauphase:
1994 bis 1998 -
Rechtsform & beteiligte Institutionen:
Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH -
Größe:
Speicherring: 240 Meter Umfang -
Experimentdetails:
Beschleunigungsenergie: 1,7 Gigaelektronvolt
Welche Erkenntnisse BESSY II liefert
Rund 45 Experimentierplätze stehen am Berliner Speicherring für Synchrotronstrahlung BESSY II zur Verfügung, um verschiedenste Experimente durchzuführen. Mit seiner großen Energiebandbreite und der Vielzahl an Untersuchungsmöglichkeiten bedient BESSY II die Bedürfnisse einer breiten Nutzergemeinde. Vor allem für die Bereiche Energie, innovative Materialien sowie Lebenswissenschaften ist die Forschung am Berliner Synchrotron von Interesse. Selbst Kunsthistoriker verwenden die dortigen Analysetechniken, um Gegenstände wie die Himmelsscheibe von Nebra zu untersuchen. Als Beispiel aus der Medizin sei die Suche nach Wirkstoffen genannt. An BESSY II analysieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Protein- und Enzymstrukturen und deren Funktionen, die für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind. Darauf aufbauend können sie Methoden entwickeln, um gesundheitsschädliche Mechanismen zu hemmen und neue pharmakologische Wirkstoffe zu entwickeln.
Auch für neuartige Speichermedien und effizientere und materialsparende Solarzellen nutzen die Forschenden die Lichtpulse. Mit der weichen Röntgenstrahlung, die das Synchrotron erzeugt, analysieren sie nanometerdünne Schichten. Von magnetischen Eigenschaften bis zur exakten atomaren Zusammensetzung erhalten sie Informationen über die vielfältigen Eigenschaften der Materialien. Auf dem Weg zu neuen Methoden, um Informationen zu speichern oder Sonnenenergie effektiv zu nutzen, setzen sie auf diese Weise Meilensteine.
Wie BESSY II funktioniert
BESSY II stellt brillante Lichtstrahlen über einen breiten Energiebereich von mehr als acht Größenordnungen für Forschungszwecke zur Verfügung. Die Möglichkeiten reichen von langwelliger Terahertz-, Submillimeter- und Infrarotstrahlung bis hin zur Röntgenstrahlung mit einer mittelhohen Energie von bis zu 15 Kiloelektronenvolt.; für einzelne Strahlrohre sogar bis 90 Kiloelektronenvolt.
Um die Photonen – also Lichtteilchen – zu erzeugen, werden Elektronen zunächst über eine kurze Strecke in einem linearen Vorbeschleuniger auf hohe Geschwindigkeiten gebracht. Anschließend werden sie in einem Synchrotron mit einem Umfang von 96 Metern auf eine Energie von maximal 1,7 Gigaelektronenvolt beschleunigt. Danach gelangen sie in einen Speicherring von 240 Meter Umfang. Dort sind sie in bis zu vierhundert Paketen gebündelt und kreisen bei nahezu Lichtgeschwindigkeit durch den evakuierten Ring.
Am Ring sind magnetische Elemente, sogenannte Undulatoren, installiert. Sie lenken die Elektronen auf eine schlangenlinienförmige Bahn, wodurch die Elektronenpakete immer wieder pulsartig Lichtblitze aussenden. Mit BESSY II lassen sich solche Lichtpulse in zwei verschiedenen Betriebsmodi erzeugen. Sie unterscheiden sich in der Dauer der Lichtpulse. So ist es möglich, Materialeigenschaften oder deren dynamische Entwicklung zu beobachten und zu verstehen. Je nach Fragestellung beantragen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Messzeit für den gewünschten Betriebsmodus.
Mit dem Synchrotronlicht erkennen sie bei diesen Experimenten kleinste Strukturen bis in den Nanometerbereich. Um Zugang zu diesen Informationen zu bekommen, betrachten die Forschenden beispielsweise, für welche Bestandteile des Lichts das Material nicht durchlässig ist oder was mit Elektronen im Material nach Eintreffen der Strahlung passiert.
Ein besonderer Fokus von BESSY II ist das extreme UV-Licht, das zwar höhere Energie als sichtbares Licht, aber zugleich geringere Energie als Röntgenstrahlung hat. In diesem Bereich stellt BESSY II europaweit mehr als 25 Prozent der Messplätze bereit. Aufgrund der einzigartigen Voraussetzungen ergänzen sich BESSY II und die Synchrotronstrahlungsquelle PETRA III in Hamburg im nationalen Portfolio ideal. Denn BESSY II liefert insbesondere weiche Röntgenstrahlung, während PETRA III Strahlung im harten Röntgenbereich mit hohen Energien bis zu zweihundert Kiloelektronenvolt bereitstellt.
Wer an BESSY II beteiligt ist
Die Synchrotronlichtquelle BESSY II wird vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie (HZB) betrieben. Damit zählt BESSY II zu den Großgeräten der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Neunzig Prozent der Kosten trägt der Bund, das Land Berlin steuert die übrigen zehn Prozent bei. Mit seinem Standort in Berlin-Adlershof ist BESSY II in einen Technologiepark modernster Forschungseinrichtungen eingebettet.
Pro Jahr verzeichnet BESSY II etwa dreitausend Nutzerbesuche aus dem In- und Ausland. Neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diverser Hochschulen nutzen auch institutionelle Einrichtungen wie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, die Max-Planck-Gesellschaft oder die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung das Synchrotronlicht für ihre Forschungen. Wer die begehrte Messzeit erhält, entscheidet ein Gutachtergremium anhand der wissenschaftlichen Exzellenz der Forschungsanträge.
Auch Universitäten sollen Zugang zur Instrument- und Methodenentwicklung an Forschungsinfrastrukturen wie BESSY II haben. Darum hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein einzigartiges Förderinstrument entwickelt: Im Rahmen der Projektförderung ErUM-Pro zur Vernetzung von Hochschulen, Forschungsinfrastrukturen und Gesellschaft entwickeln Universitäten ausgewählte Instrumente und Methoden weiter und bauen neue Messplätze auf. Auf diese Weise wird die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der Synchrotronlichtquelle gesteigert. Gleichzeitig bietet das BMBF den Universitäten somit Forschungsmöglichkeiten, die über die eigenen Labore hinausgehen. Im Dreijahres-Rhythmus finden auf nationaler Ebene Ausschreibungen für neue Förderkampagnen im Rahmenprogramm Erforschung von Universum und Materie statt; auf internationaler Ebene ist die Zusammenarbeit binational gestaltet. Forschende entwickeln darin zum Beispiel die Prozesse in Materialien für zukünftige Batterien, Solarzellen und Elektromotoren sowie magnetische Eigenschaften für Datenspeichermedien weiter.
Was gerade an BESSY II passiert
Die Mitarbeitenden des HZB ermöglichen es nicht nur, Materie mittels weicher Röntgenstrahlung und Photonen niedriger Energien an BESSY II zu erforschen. Sie sind auch ein wichtiger Akteur bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Beschleunigertechnologien.
Speziell um Energiematerialien zu erforschen, ist am HZB gemeinsam mit der Max-Planck-Gesellschaft das weltweit einzigartige Labor EMIL (Energy Materials In-situ Laboratory Berlin) in Betrieb genommen worden. Dort verwenden Forschende die Röntgenstrahlung von BESSY II, um schichtweise wachsende Solarzellen zu untersuchen. In der Forschungsplattform CatLab arbeiten sie an zentralen Themen der Energiewende, wie zum Beispiel die Entwicklung von Katalysatormaterialien, um grünem Wasserstoff zu erzeugen.
Mithilfe des Modernisierungsprogramms BESSY II+ will das HZB bis Ende des Jahres 2027 die technische Leistungsfähigkeit und die Attraktivität für die Nutzenden des Synchrotrons sicherstellen. Parallel dazu arbeitet es an einem Konzeptdesign für ein Synchrotron der neuesten Generation (BESSY III), das die bestehende Anlage Mitte der 2030er-Jahre ablösen könnte.
zuletzt aktualisiert: Mai 2023