Pierre-Auger-Observatorium – Astronomie bei höchsten Energien
Das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien ist einem der größten Rätsel der Astrophysik auf der Spur: der kosmischen Strahlung. Mit immenser Energie prasseln die geladenen Teilchen kontinuierlich auf die Erde nieder – doch woher genau sie stammen, ist immer noch unklar.
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Ort:
Malargüe (Argentinien) -
Baukosten:
43 Millionen Euro -
Anzahl Forschende:
über 500 -
Beteiligte Länder:
Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Italien, Kolumbien, Mexiko, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien, Tschechien, USA -
Ziel:
Herkunft hochenergetischer kosmischer Strahlung aufklären -
Gerätetyp:
Teleskop-Detektorfeld -
Messmethode:
Fluoreszenzteleskope und Wasser-Tscherenkow-Detektoren -
Untersuchungsobjekt:
Kosmische Strahlung -
Bauphase:
2004 bis 2008 -
Rechtsform & beteiligte Institutionen:
Pierre-Auger-Kollaboration -
Größe:
3000 Quadratkilometer -
Technische Experimentdetails:
Energiebereich: 1018 - 1020 Elektronvolt
Welche Erkenntnisse wir durch das Pierre-Auger-Observatorium gewinnen
Es ist das vielleicht ungewöhnlichste Observatorium der Welt: 1660 sogenannte Wasser-Tscherenkow-Detektoren, gelbliche Wassertanks von der Größe eines PKWs, verteilen sich über eine Fläche von dreitausend Quadratkilometern der argentinischen Pampa. Ergänzt werden die Tanks noch durch 27 Teleskope, die gemeinsam einen Fluoreszenzdetektor bilden, der Fluoreszenzlicht in der Atmosphäre misst.
Mit dieser einzigartigen Forschungsinfrastruktur, dem Pierre-Auger-Observatorium, versuchen Forscherinnen und Forscher, die Geheimnisse der kosmischen Strahlung zu entschlüsseln. Unaufhörlich geht diese in Form geladener Teilchen mit immenser Energie auf unseren Planeten nieder. Doch warum einige dieser Teilchen über so hohe Energien verfügen – und woher sie überhaupt stammen – gilt als eines der großen Rätsel der Astronomie.
Das Pierre-Auger-Observatorium ist weltweit führend bei der Beobachtung der kosmischen Strahlung mit höchster Energie – jener Teilchen mit Energien von 1018 bis zu 1020 Elektronenvolt. Es handelt sich um Energien, die hundert Millionen Mal größer sind als die Maximalenergie, mit der der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt Teilchen beschleunigen kann. Allerdings: Ab 1020 Elektronenvolt ist auch bei der kosmischen Strahlung Schluss. Mit noch mehr Energie sind praktisch keine Ereignisse mehr zu verzeichnen. Herauszufinden, wo genau diese Obergrenze liegt, könnte erklären, wie die Teilchen überhaupt auf die hohen Energien beschleunigt werden.
Bislang gibt es zwei Theorien für die begrenzte Leistungsfähigkeit: Nach einem Modell bremsen die Lichtteilchen der Hintergrundstrahlung, die das ganze All erfüllt, die kosmische Strahlung bis auf eine Höchstenergie ab. Die andere Möglichkeit ist, dass die gigantischen Teilchenbeschleuniger im Weltraum, die die Teilchen auf extrem hohe Energien beschleunigen, selbst an ihre Grenzen stoßen. Die zur Teilchenbeschleunigung erforderlichen Bedingungen herrschen in beiden Fällen nur in exotischen Umgebungen, beispielsweise nahe von extrem massereichen Schwarzen Löchern in aktiven galaktischen Kernen.
Die bisherigen Messungen des Pierre-Auger-Observatoriums lieferten Daten, die die Entscheidung zwischen beiden Modellen wieder offen erscheinen lassen. Zuvor bevorzugten die Forscherinnen und Forscher das Abbremsungsmodell, bei dem hauptsächlich Protonen, also Wasserstoffkerne, vorkommen würden. Doch die Zusammensetzung der kosmischen Strahlung deutet auf die begrenzte Beschleunigungsfähigkeit der kosmischen Teilchenbeschleuniger hin: Bei höchsten Energien sind mehr massereiche Atomkerne als Wasserstoffkerne zu finden – und erstere werden im gleichen Beschleuniger auf höhere Energien gebracht.
Wie das Pierre-Auger-Observatorium funktioniert
Anderthalb Kilometer muss man laufen, um von einem der Wasser-Tscherenkow-Detektoren zum nächsten zu gelangen – und das geht über dreitausend Quadratkilometer in alle Himmelsrichtungen auch so weiter. Doch wie gelingt es Forscherinnen und Forschern, mithilfe von Wassertanks und Fluoreszenzdetektoren neue Erkenntnisse über kosmische Strahlung zu gewinnen? Ohne Unterlass prasselt ein Strom hochenergetischer geladener Teilchen auf unsere Erdatmosphäre nieder. Es handelt sich hauptsächlich um Protonen, also die Atomkerne des Wasserstoffs, und leichte bis mittelschwere Atomkerne wie die von Kohlenstoff oder Stickstoff.
Während Licht den Kosmos geradlinig durchquert, werden geladene Teilchen bei ihrer Reise durchs All in kosmischen Magnetfeldern stark abgelenkt. Deshalb ist es anders als bei Licht eine große Herausforderung, den Ursprung von kosmischer Strahlung zu bestimmen.
Dazu kommt noch eine weitere Herausforderung: Die Ursprungsteilchen selbst dringen gar nicht bis zum Erdboden vor. Stattdessen stoßen die hochenergetischen Teilchen auf die Atomkerne der Erdatmosphäre. Bei diesen Kollisionen „zerplatzen“ die ursprünglichen Teilchen und lassen einen Teilchenschauer aus Sekundärteilchen entstehen. Dies sind meist Elektronen und ihre massereichen Geschwister, die „Myonen“. Diese Sekundärteilchen hinterlassen in den Wassertanks des Pierre-Auger-Observatoriums ihre Spuren. Wenn sie die Wassertanks durchqueren, erzeugen sie aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeiten bläuliche Lichtblitze, das sogenannte Tscherenkow-Licht, das mit empfindlichen Lichtsensoren aufgezeichnet wird. Je nachdem, aus welcher Richtung das ursprüngliche Teilchen die Erdatmosphäre erreicht hat, sprechen die einzelnen Tanks um Millisekunden verzögert an. Und wie stark und wie viele Tanks überhaupt aufblitzen, ist ein Maß für die Energie des kosmischen Primärteilchens. Pro Minute spürt das Observatorium durchschnittlich drei solcher Ereignisse auf.
Zusätzlich regen die geladenen Sekundärteilchen die Stickstoffmoleküle in der Atmosphäre zum Leuchten an. Die Fluoreszenzteleskope können dieses schwache Leuchten in mondlosen Nächten einfangen. Da sein Höhenprofil – also wo genau es in der Atmosphäre erzeugt wird – von der Zusammensetzung und Energie der Primärteilchen abhängt, liefern die Fluoreszenzteleskope so von den Wasser-Tscherenkow-Detektoren unabhängige, zusätzliche Informationen über die Art der kosmischen Strahlung. Die Wassertanks beobachten rund um die Uhr.
Wer am Pierre-Auger-Observatorium beteiligt ist
Der Bau des nach dem französischen Physiker Pierre Victor Auger (1899–1993) benannten Observatoriums begann im Jahr 2004. Seit dem Jahr 2008 befindet es sich im wissenschaftlichen Routinebetrieb. Das Detektorfeld ist ein internationales Gemeinschaftsprojekt: Insgesamt sind etwa 450 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 17 Ländern daran beteiligt – rund hundert von ihnen arbeiten an insgesamt acht Instituten aus Deutschland.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat den Bau und die Beteiligung deutscher Forschungsgruppen am Observatorium mit Mitteln der Projektförderung mitfinanziert. Die deutschen Institute beteiligen sich innerhalb des Konsortiums am laufenden Betrieb und an der Weiterentwicklung des Observatoriums sowie an Datenanalyse und -auswertung. Das institutionell geförderte Karlsruher Institut für Technologie (KIT) übernimmt zudem die Verwaltung.
Besonders zu erwähnen sind dabei auch die Synergieeffekte mit anderen Forschungsinfrastrukturen wie dem Radiointerferometer LOFAR. Auch am Pierre-Auger-Observatorium gibt es Radioantennen: das Antennensystem AERA. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erkunden hier, inwieweit sich die Teilchenschauer auch im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums nachweisen lassen. Sie stehen dabei mit den Kollegen bei LOFAR in regem fachlichen Austausch. Ähnliche Zusammenarbeiten gibt es auch bei der Erforschung der Neutrinos, etwa mit IceCube in der Antarktis.
Was gerade am Pierre-Auger-Observatorium passiert
Derzeit befindet sich eine Erweiterung des Pierre-Auger-Observatoriums im Bau, genannt: „AugerPrime“. Ziel ist es, alle 1660 Wasser-Tscherenkow-Detektoren zusätzlich mit Szintillationsdetektoren auszustatten. Denn während die Wassertanks allein keine Aufschlüsse über die Art der sie durchquerenden Teilchen erlauben und die Fluoreszenzteleskope nur in dunklen Nächten einsetzbar sind – was auf lediglich 13 Prozent der Beobachtungszeit zutrifft – reagieren die Szintillationsdetektoren besonders empfindlich auf Elektronen. Im Zusammenspiel mit den Wasser-Tscherenkow-Detektoren, welche besonders auf Myonen empfindlich sind, ermöglichen sie es, das Verhältnis von Elektronen und Myonen zu bestimmen, und dieses wiederum hängt von der Masse des kosmischen Strahlungsteilchens ab.
Genauere Daten zum Massenverhältnis der kosmischen Strahlung bei den höchsten Energien sollen dazu beitragen, diese fundamentalen Fragen der Astrophysik zu beantworten. Die Baukosten für die Erweiterung werden vom Bundesforschungsministerium unterstützt. In Deutschland trägt zusätzlich die neunzig Prozent vom Bund finanzierte Helmholtz-Gemeinschaft über das Karlsruher Institut für Technologie zu AugerPrime bei – die übrigen Kosten werden von den beteiligten Partnerländern übernommen.
zuletzt aktualisiert: Mai 2023