LHC – Forschungsgigant im Teilchenkosmos
Groß, größer, LHC – der Large Hadron Collider (LHC) am CERN ist der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger, den Menschen jemals gebaut haben. Forschende gewinnen einzigartige Einblicke in die Welt der Elementarteilchen. Einerseits, um diese besser zu verstehen und anderseits, um in unbekannte Dimensionen vorzudringen: Auf der Suche nach rätselhaften Phänomenen wie der Dunklen Materie.
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Ort:
Genf (Schweiz) -
Baukosten:
5,1 Milliarden Schweizer Franken für den LHC inklusive der Experimente (ALICE, ATLAS, CMS und LHCb) -
Anzahl Forschende:
Ca. 10 000 engagieren sich in den LHC-Experimenten -
Beteiligte Länder:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn, Vereinigtes Königreich -
Ziel:
Standardmodells testen; nach neuen Teilchen und Dunkler Materie suchen -
Anwendungsbeispiel:
Big Data, Grid-Computing, Maschinelles Lernen, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden für die Medizin -
Gerätetyp:
Teilchenbeschleuniger -
Messmethode:
Teilchendetektion -
Untersuchungsobjekt:
Protonen, Bleikerne -
Bauphase:
1998 bis 2008 -
Rechtsform & beteiligte Institutionen:
CERN – Europäische Organisation für Kernforschung (Internationale Organisation) -
Größe:
27 Kilometer langer Ringbeschleuniger -
Experimentdetails:
max. Kollisionsenergie: 14 Tera-Elektronenvolt
Umläufe: 11 245 pro Sekunde
Kollisionen: 1,5 Milliarde pro Sekunde
Betriebstemperatur: -271,3 Grad Celsius
Anzahl der Magnete: 9593
Welche Erkenntnisse der LHC liefert
Wie ist unsere Welt aufgebaut? Und was hält sie im Innersten zusammen? Dies sind grundlegende Fragen, die Physikerinnen und Physiker interessieren. Der LHC mit seinen unerreichten Teilchenenergien bietet ihnen beispiellose Forschungsmöglichkeiten. 2012 gelang am Large Hadron Collider eine Sensation, als Forschende erstmals das seit Jahrzehnten gesuchte Higgs-Boson nachwiesen. Über den sogenannten Higgs-Mechanismus verleiht es allen Elementarteilchen ihre Masse. Diese Entdeckung eröffnete den Beteiligten ein umfassendes Forschungsprogramm rund um die Eigenschaften dieses einzigartigen Elementarteilchens. Zusätzlich sind sie auf der Suche nach Phänomenen wie Dunkler Materie, die sie am LHC unter Laborbedingungen produzieren und studieren wollen. Besonders durch die extrem hohen Kollisionsenergien, die im Zusammenhang mit dem LHC Leistungsausbau erreicht werden, stoßen die Forschenden eine Tür in diese unbekannte Welt auf.
Die Forschung am LHC verteilt sich auf vier sich ergänzende Experimente (ATLAS, CMS, LHCb und ALICE), die mit leistungsfähigen Detektoren ausgestattet sind. Diese wissenschaftlichen Nachweisgeräte vermessen die Teilchenspuren im Anschluss an die Teilchenkollisionen. Mit den Vielzweckdetektoren ATLAS (A Toroidal LHC ApparatuS) und CMS (Compact Muon Solenoid) halten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter anderem Ausschau nach Teilchen, aus denen die Dunkle Materie besteht. Dabei ergänzen sich die beiden Experimente mit ihren auf unterschiedlichen Technologien basierenden Detektoren.
ALICE und LHCb sind speziellen Formen von Materie gewidmet. Mit ALICE (A Large Ion Collider Experiment) untersuchen die Forschenden das Quark-Gluon-Plasma. Der Name steht für einen Materiezustand, der kurz nach dem Urknall auftrat und sich nur bei extrem hohen Energien erzeugen lässt. Hierzu werden Bleikerne im LHC zur Kollision gebracht. So wollen die Physikerinnen und Physiker die Natur der starken Wechselwirkung besser verstehen. Mit dem LHCb-Experiment (Large Hadron Collider beauty) überprüfen sie das Standardmodell der Teilchenphysik, indem sie nach winzigen Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie suchen. Das Kuriose: Nach heutigem wissenschaftlichem Verständnis dürfte unsere Welt gar nicht existieren. So hätten sich Materie- und Antimaterie-Teilchen aufgrund ihrer gegensätzlichen Ladung auslöschen müssen. Wie lässt sich also der klare Materieüberschuss erklären? Der LHC hat das Zeug dazu, diese und andere Phänomene zu entschlüsseln.
Wie der LHC funktioniert
Der Large Hadron Collider befindet sich im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich. Hierbei handelt es sich um einen unterirdischen rund 27 Kilometer langen Beschleunigerring, in dem Teilchen wie etwa Protonen – die positiv geladenen Bausteine der Atomkerne – kreisen. Supraleitende Magnetspulen, die keinen elektrischen Widerstand besitzen, halten die geladenen Teilchen über starke Magnetfelder auf ihrer Bahn. Der LHC beschleunigt zwei gegenläufige Protonenstrahlen auf Energien bis zu 6,5 Teraelektronenvolt, ab 2021 bis zu sieben Teraelektronenvolt. Nahezu mit Lichtgeschwindigkeit prallen die Teilchen dann aufeinander.
Die Energien sind bei derartigen Kollisionen so hoch, dass die Protonen im Einzelnen zerstört werden, aber aufgrund der wirkenden physikalischen Kräfte neue und schwere Teilchen erzeugt werden. Zwar zerfallen viele dieser Teilchen rasch wieder in andere Teilchen, so dass die ursprünglichen sich gar nicht direkt detektieren lassen. Jedoch entstehen bei diesen Zerfällen Teilchen, die in den speziell dazu gefertigten Detektoren ihre Spuren hinterlassen. Diese können die Forschenden exakt vermessen und so Schlüsse auf die ursprünglichen Konstellationen ziehen. Bis zu 1,5 Milliarden Teilchen stoßen im LHC pro Sekunde zusammen. Entsprechend groß ist die erzeugte Datenmenge, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auswerten müssen.
Wer am LHC beteiligt ist
Deutschland finanziert mit rund 250 Millionen Euro im Jahr (circa zwanzig Prozent des CERN-Haushaltes) unter anderem den Betrieb des LHC. Das macht Deutschland zum größten Geldgeber des Labors und sichert seine herausragende Position innerhalb der Teilchenphysik. Insgesamt sind mehr als neunhundert deutsche Forscherinnen und Forscher in die LHC-Experimente eingebunden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert außerdem alle vier LHC-Experimente mit Mitteln der Projektförderung im Rahmen von ErUM-Pro. Sie erlaubt deutschen Universitäten, sich mit wesentlichen Beiträgen an ATLAS, CMS, ALICE und LHCb zu beteiligen. Mit ihrem Fachwissen – vor allem im Detektorbau und in der Datenauswertung mit leistungsfähigen Analysetechniken basierend unter anderem auf Maschinellem Lernen – sorgen die Universitäten dafür, dass die LHC-Experimente weiterentwickelt werden.
Zusätzliche Mittel stellt das Bundesforschungsministerium für den weiteren Ausbau (Upgrade Phase II) von ATLAS und CMS im Rahmen des geplanten Leistungsausbaus (High Luminosity Upgrade) des LHC bereit. Sie fließen in Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie in den anschließenden Aufbau neuer leistungsstärkerer Detektorkomponenten an den beiden Experimenten.
Was gerade am LHC passiert
Seit vielen Jahren ist der LHC der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger der Welt. Seitdem haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer wieder von sich Reden gemacht, etwa mit der Erkenntnis, dass sich das Quark-Gluon-Plasma – ein Materiezustand unmittelbar nach dem Urknall – bei hohen Energien eher wie eine zähe Flüssigkeit als wie ein Gas verhält. Oder mit neu entdeckten Teilchen, die den bisher bekannten Teilchenkosmos ergänzen.
Die größte Sensation gelang den Forschenden 2012, als sie das lange gesuchte Higgs-Teilchen erstmals nachwiesen. In den Folgejahren nutzten die Physikerinnen und Physiker die vom Large Hadron Collider erzeugten Daten, um die Eigenschaften des Higgs-Teilchens weiter zu erforschen. Im Sommer 2018 gelang es ihnen, den Zerfall in zwei sogenannte Bottom-Quarks nachzuweisen. Bei Quarks handelt es sich um Teilchen, aus denen der Atomkern besteht. Physikerinnen und Physiker unterscheiden dabei unterschiedliche Arten von Quarks, darunter das Bottom-Quark und das Top-Quark. Schon vor dem konkreten Nachweis hatten Theoretikerinnen und Theoretiker den Zerfall vorhergesagt. Doch obwohl es sich demnach um ein häufiges Zerfallsmuster handelt – es tritt in 58 Prozent der Fälle auf –, ist es erst sechs Jahre nach der Entdeckung gelungen, die Teilchenbruchstücke eindeutig auf das Higgs-Teilchen zurückzuführen. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden weitere Eigenschaften sowie Wechselwirkungen mit anderen Teilchen präzise untersuchen und vermessen. Teilchen für Teilchen gewinnen sie so ein genaueres Bild des einzigartigen Kosmos.
Der Ausbau des Large Hadron Collider wurde in den vergangenen Jahren weiter vorangetrieben. Das Ziel ist es, mit noch höheren Wechselwirkungsraten und noch höheren Energien völlig neue physikalische Phänomene zu beobachten. Nach einer längeren Phase des Umbaus befindet sich der LHC seit 2022 erneut in einer spannenden Phase und produziert Physikdaten. Im Jahr 2026-2028 findet der nächste größere Umbau zum High-Luminosity LHC statt – dabei wird die heutige Kollisionsrate von 1,5 Milliarden pro Sekunde um den Faktor drei bis vier steigen. Parallel vergrößert sich die Datenmenge um etwa das Zwanzigfache. Das wird es Physikerinnen und Physikern erlauben, das Higgs-Boson noch detaillierter zu studieren und seltene Phänomene in den Fokus zu nehmen. Der High-Luminosity LHC wird mindestens 15 Millionen Higgs-Bosonen pro Jahr produzieren – zum Vergleich: der LHC produzierte im Jahr 2017 rund drei Millionen Higgs-Bosonen. Aufgrund der herausragenden Forschungsaussichten wurde der High-Luminosity LHC als die Top-Priorität der „European Strategy for Particle Physics“ im Jahr 2013 genannt.
zuletzt aktualisiert: Mai 2023